Dr. Lothar de Maizière, letzter Ministerpräsident der DDR, und sein damaliger Berater Dr. Thomas de Maizière berichten über die atemberaubende Zeit vor 30 Jahren
Am Vorabend des 30. Jahrestages der Unterzeichnung des 2+4
Vertrages, in dem die deutsche Einheit außenpolitisch besiegelt wurde,
hatte der CDU-Kreisvorsitzender Sebastian Fischer zu
einer Festveranstaltung zum Einheitsjubiläum nach Altkötzschenbroda in
den Goldenen Anker geladen. Eingerahmt von gekonnten Darbietungen des
Musikschul-Duos Gioia Großmann (Violine) und Jakob Fleischmann
(Akkordeon) erlebten die sichtlich bewegten Zuhörer eine lebendige
Geschichtsstunde.
Die Veranstaltung können Sie in leicht gekürzter Form unter folgendem Link sehen :30 Jahre deutsche Einheit mit Lothar und Thomas de Maizière
Radebeuls CDU-Vorsitzender Werner Glowka zeichnete in seiner Begrüßung die völlig unterschiedlichen Lebenswege der beiden Cousins de Maizière nach. Der inzwischen 80-jährige Dr. Lothar de Maizière war zunächst Orchestermusiker und später als kirchlich engagierter Rechtsanwalt in der DDR tätig. Lediglich für einen kurzen, aber für die deutsche Geschichte entscheidenden Zeitraum übernahm er politische Ämter als CDU-Vorsitzender der DDR, als Ministerpräsident 1990 und kurze Zeit als Bundesminister für besondere Aufgaben. Sein im Westen aufgewachsener jüngerer Cousin Thomas de Maizière stellt sich bis heute in vielfältigen Funktionen und Ämtern in den Dienst der Politik. “Die Aufgabe meiner Regierung war es, uns in kurzer Zeit überflüssig zu machen,” so skizzierte Lothar de Maizière das Ziel seiner halbjährigen Regierungszeit. Eine übergroße Mehrheit hatte in der Volkskammerwahl am 18. März 1990 für einen schnellen Weg zur deutschen Einheit votiert bei einer bis heute unerreichten Wahlbeteiligung von 93 %. Dieser sollte über den Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland nach Art. 23 des Grundgesetzes erfolgen, doch musste die Rechtsordnung der DDR zunächst im Eiltempo darauf vorbereitet werden. Ein Meilenstein sei die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion gewesen, die bereits am 1. Juli 1990 in Kraft trat. „Jeden Tag verließen 2000 bis 3000 Bürger das Land, und wir mussten schnell handeln“, so der damalige Regierungschef. “Kommt die D-Mark, bleiben wir, kommt sie nicht, gehen wir zu ihr”, sei die einfache Botschaft der Menschen gewesen. Und so sei die Marktwirtschaft quasi per Knopfdruck von einem Tage auf den anderen eingeführt wurden, mit allen Ecken und Kanten, aber es habe keine Alternative und vor allem kein Vorbild dafür gegeben. Ein weiterer Meilenstein sei der Einigungsvertrag zwischen den beiden deutschen Staaten gewesen, über dessen Details bis zuletzt gerungen worden sei. Großes Lob zollte Lothar de Maizière dem westdeutschen Delegationsleiter Dr. Wolfgang Schäuble, der damals Bundesinnenminister war. Schäuble habe auch in schwierigen Fragen wie der Regelung zum Schwangerschaftsabbruch oder zur Festlegung der Hauptstadt Berlin Lösungen gefunden. Auch außenpolitisch sei die Zustimmung aller vier Siegermächte des Zweiten Weltkrieges kein Selbstläufer gewesen. “Wir wussten, dass die Menschen in der Sowjetunion die Vereinigung mehrheitlich ablehnten und Michael Gorbatschow sehr unter Druck stand. Als wir in Moskau waren, schickte ich meine stellv. Regierungssprecherin Angela Merkel, die gut russisch spricht, U-Bahn fahren, damit sie die Meinung der Leute in Erfahrung bringt.” Eine der größten Leistungen sei der reibungslose Abzug von fast 500.000 Soldaten der Roten Armee aus der DDR gewesen. Und das sei auch mit persönlichen Schicksalen verbunden gewesen, denn viele zurückkehrende Soldaten hätten nicht mal mehr eine Wohnung gehabt. Die Gelder, die die Bundesrepublik für den Abzug aufgewendet habe, seien ein Bruchteil dessen gewesen, was heute für die Coronafolgen bereitstehe, so Lothar de Maizière. Wie wenig realistisch beide Verhandlungsdelegationen den Wert der damaligen DDR-Betriebe einschätzten, erläuterte Dr.Thomas de Maizière. Beide Seiten hätten einen Erlös aus der Privatisierung der Kombinate und Betriebe in dreistelliger Milliardenhöhe erwartet und stritten sich, wem der Betrag zufließen solle, dem Bund oder den neuen Ländern. Am Ende der Privatisierung saß die Treuhand auf einem Schuldenberg in dreistelliger Milliardenhöhe. Das habe 1990 niemand geahnt. Rückblickend sei es ein Fehler gewesen, im Zusammenhang mit der deutschen Einheit zwei Begriffe zu verwenden, die von Anfang an unerreichbare Erwartungen geweckt hätten, so Thomas de Maizière. Das sei zum einen die Angleichung der Lebensverhältnisse gewesen. Lebensverhältnisse seinen nun mal nicht gleich. Auch innerhalb Bayerns unterschieden sich die Löhne zwischen Bayrischem Wald und München gewaltig. Genau deshalb spreche das Grundgesetz vom Ziel der „gleichwertigen Lebensverhältnisse“, was nicht „gleiche“ Lebensverhältnisse bedeute. Auch der Begriff der „inneren Einheit“, deren Fehlen von manchen bis heute beklagt werde, sei irreführend gewesen, denn so etwas gebe es eigentlich gar nicht. Nicht einmal innerhalb einer Großfamilie sei eine innere Einheit da. Was es aber gebe, sei die Einigkeit nach außen, und diese hätten die Deutschen in den 30 gemeinsamen Jahren durchaus erreicht. Auf die Frage von CDU-Landratskandidat Ralf Hänsel nach den Vorstellungen, wie ein vereintes Deutschland nach 20, 30 Jahren aussehen würde, bekannte Thomas de Maizière offen: „Wir wussten, dass wir an etwas ganz Großem arbeiten, aber wir hatten keine Visionen, wie es in Zukunft sein soll. Wir waren einfach froh, wenn wir das immense Tagesgeschäft ohne Zwischenfälle abends geschafft hatten.“ CDU-Kreisvorsitzender Sebastian Fischer dankte den beiden Zeitzeugen für ihre bewegenden persönlichen Schilderungen und beleuchtete in seinem Schlusswort die Haltung von vielleicht nicht wenigen DDR- Bürgern. Aus einem anonymen persönlichen Brief an den damaligen Pfarrer Führer der Leipziger Nicolaikirche, der die Form einer Beichte hatte, zitierte Fischer: „Wir haben uns mit den Verhältnissen in der DDR arrangiert und unseren persönlichen Vorteil im Rahmen des Möglichen gesucht. An die Kraft der Friedensgebete und der daraus folgenden politischen Änderungen haben wir zunächst nicht geglaubt, aber dennoch waren wir dankbar, dass es sie gibt.“ Abgerundet wurde diese eindrucksvolle Geschichtsstunde mit dem würdigen Singen der Nationalhymne.